Eine Stunde Video: Tomáš Sedlácek - ein philosophischer Ökonome
Ich habe eine spezielle TV-Gabe: Ich schalte immer wie zufällig auf etwas um, was mich dann total positiv überrascht und interessiert gefangen hält. Dass das Schweizer TV eine Serie hat namens Sternstunden und darin die Unterrubrik Philosophie, wusste ich, denn einige kurze Aufenthate liessen mich sie entdecken. Gefangen hielten sie mich selten, weil halt nur selten mir Unbekanntes geboten wurde.
Doch letzthin war's anders: Da stieg ich irgendwo nach der Hälfte in ein Gespräch ein, wo den gelegentlichen eingeblendeten Kommentare zu entnehmen war, dass hier ein ausgebildeter Ökonome philosophierte. Er sah jung aus und erzählte voller spitzbübischer und energievoller Heiterkeit von der Ökonomie, unserer Indoktrination auf einen einzigen Vordenker, dessen Ideen wir heute ja gar nicht mehr hinterfragen, weil es schon seit einigen Generationen klar ist, dass „es so läuft, wie's eben läuft" und wir ja eh nicht (mehr) wissen, woher eigentlich all diese Ideen über Ökonomie stammen. Und wir vor allem nicht mehr hinterfragen, ob die Ökonomie noch das macht, was wir wollen, oder ob sie schon längst uns alle zu Arbeitszombies gemacht hat, die mit leeren Augen nur noch dem Mechanismus diesen – gedanken- und gefühlslos. Wie halt die Körper in Matrix etc. Bioroboter ist eine neutralere Bezeichnung für Zombies. Nur Arbeiten für den Mechano. Funktionieren. Und das schon ab Teenager - Lebensplanung, scheinbare Bedürfnisse decken mit Geld dank Arbeit, Haus, Familie und – aus.
Der Mann, der da so kurzweilig erzählte, ist Tomáš Sedláek. Er sei mit 24 Jahren schon von Präsidenten der Tschechoslowakei Václav Havel zu dessen Wirtschaftsberater ernannt worden. Nun sei er Chefökonom der grössten tschechischen Bank.
Heute ist er 35 und heimse mit seinem Buch Die Ökonomie von Gut und Böse regelmässig Erfolge ein. Nicht nur bei alternativ Denkenden, sondern (sogar) bei Ökonomen. Denn er geht weiter zurück in die Vergangenheit bei der Suche nach den Gründen der derzeit herrschenden, ökonomietheoretisch basierten Ideologie und findet in Mythen und Religionen Erklärungen, die bereits die Ansätze unserer Gier und der damit möglichen Verleitbarkeit aufzeigen.
Es zeigt sich, das Eingeständnisse wachsen, dass aktuelle Ökonomiesysteme heutige Prozesse nicht mehr verstehen. Eigentlich kein Wunder, wenn man bedenkt, dass viele der Ökonomietheoretiker ja bereits mehr als 2 Jahrhunderte lang tot sind. Kann man in unserer Zeit nach wie vor Ideen folgen, die Leute entwickelten, die vor 200 Jahren lebten? In einer Zeit, wo gerade die Industrialisierung im Aufstieg war?
Sedlácek hat es offenbar geschafft, aus der Soziologie und Philosophie stammende Warnungen gegen den Kapitalismus, die es ja schon fast ebenso lange gibt wie die Industrialisierung, in die Gedankenwelt der Ökonomen einzubringen. Schön daher seine Gedankenanstoss, dass die Ökonomen nicht mehr wissen, was der Unterschied zwischen Preis und Wert ist. Dinge, die keinen (messbaren) Wert haben wie Gesundheit, frische Luft, Leiden und Freuden, scheinen dem Handwerkszeug der Ökonomen, der Mathematik, nicht zugänglich zu sein. Mathematik ist ein System, das Dinge abstrahieren lässt, die dann zur scheinbaren Handhabbarkeit eines Systems verleitet. Schon Einstein hatte eine kosmologische Konstante „erfunden", um eine Komplexität des Universums, dessen Expansion, in den Griff zu bekommen. Weil er die Option nicht akzeptieren wollte, dass das Universum kein Steady-State-Universum ist – obwohl man diese Meinung eventuell wieder umstossen wird, denn wir beobachten ja nur die leuchtende Materie – und entdecken , dass es offenbar eine dunkle Materie gebe, die 5/6 der Materie ausmache und eine dunkle Energie, die noch mehr vom Inhalt des Universums ausmache. Da kommen mir natürlich grad ein paar Ideen, die den Urknall in Frage stellen. Klar, nur Ideen, andere Denkweisen, aber eben der aktuell vorherrschenden Lehre widersprechend.
So bringt Sedlácek es auch auf den Punkt: Eine Zahl sagt einfach nicht in allen Situationen das aus, was wichtig ist. So fragt er die Interviewerin, ob sie denn wisse, ob sie 4.2x glücklicher sei als letztes Jahr. Und auch Douglas Adam's per Anhalter durch die Galaxis wird zitiert, denn in dessen Roman berechnet ein Computer die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Und kommt auf 42. Was soll also so eine Zahl.
Sedlácek sagt, wir leben in der Ökonomie wie namisch Depressive. Er erklärt das auch sehr nett. Vor allem, dass Manische enorm ideenreich sind, wenn es darum geht, das Objekt der Manie am Leben zu erhalten – und die Sicht aus einer höheren Warte schlichtweg zu ignorieren.
Alle die gesunden Menschenverstandes sind, wissen, dass man nicht mehr ausgeben kann wie man einnimmt. Doch die grossen Systeme, Staaten, tun das und wir alle finden das ok. Es ist irgendwie wie das St. Florian Prinzip: Was ich zwar aus Gier schon auch tun und vor allem richtig finden möchte – nämlich Schulden zu machen, ist nicht richtig. Aber beim Staat finden wir das toll. Vielleicht, weil er unser Feigenblatt ist, unter der dem einige von uns es sich dann schon erlauben, Dinge zu denken und zu tun, mit Werten auf eine Art zu hantieren, von der wir genau wissen, dass es immer eine Gegenreaktion haben wird. Der einzige Faktor, der es wohl diesen Systemlenkern erlaubt, den gesunden Menschenverstand sträflich zu ignorieren, ist die Zeit. Denn jede Aktion wird eine Reaktion haben, lernt jeder in der ersten Stunde der Physik. Was aber, wenn die Reaktion halt erst nach 100 oder mehr Jahren kommen wird? Wachstumskritik gibt es schon seit Anbeginn der Kaptialismusreligion. Der Menschenverstand weiss, dass materiell nichts grenzenlos wachsen kann – weil halt de Erde der materielle Container unserer Lebensformen darstellt. Und den können wir ja nicht vergrössern – wir können uns den Aufenthalt in ihm nur entweder vermiesen oder angenehm gestalten.
Die aktuelle Ökonomie predigt aber, dass Wachstum der heilige Gral sei. Das ist das Manische. Diese Limite scheint ausgeblendet, scheint „keinen Wert" zu haben. Der Manisch-Depressive kennt den Unterschied zwischen Besitztum und Bedürfnissen nicht mehr.
So bringt Sedlácek dazu eine Analogie von Hedonisten und Stoikern: Wir generieren immer mehr Nachfrage, nicht die Befriedigung der Nachfrage. Hedonisten streben nach dem Mehr, Stoiker sind zufrieden mit dem Bestehenden. Die aktuelle Ökonomie ist hedonistisch: Ihre Ideologen predigen nicht die Befriedigung der Nachfrage – denn da wäre ja ein Ende zu erwarten – sondern die Erzeugung mmer neuer Nachfragen. Das ist per se nicht schlecht, denn wenn man es sinnvoll kombiniert, ist natürlich die Erzeugung einer Nachfrage nach umweltfreundlichen Methoden und Technologien wohl nachhaltiger und sinnvoller als andere, die z.B. nur die x-millionste Inkarnation eines Modegags ist.
Doch es ist offenbar eine menschlicher Faktor, dass die ganze Menschheit nicht nur stoisch oder hedonistisch sein kann. Und so bringt Sedlácek Aristoteles auf, dessen Spruch „jede übertriebene Tugend wird schlecht". Er meint gar, dass die Ökonomen dieser Welt (zumindest am WEF) eingesehen hätten, dass sie übertrieben hätten. Wenn das stimmt, besteht ja noch Hoffnung.
Nun ja, wieso ich diesen Artikel schrieb, ist nicht, dass Sedlácek irgendwas Neues erzählt. Was mir aber gefällt, ist, dass es einer aus dem inneren Circle seiner Berufsgenossen stammt und sich und seinen Leuten all diese Fragen stellt und dabei nicht ausgebuht wird.
So stellt er die richtige Frage: Nicht: Funktioniert die Ökonomie? Sondern: Funktioniert die Ökonomie so, wie wir es wollen? Der Relativsatz zeigt schon, was es dazu braucht: UNS. Was wollen wir mit diesem gigantischen Mechanismus, den wir Wirtschaft nennen?
Lohnenswert, diese Stunde Video anzuschauen und danach das eigene Handeln anzupassen.
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