Und noch ein Argument fürs bedingungslose Grundeinkommen

Letzthin fuhr ich wieder mal zu normalen Geschäftszeiten von Zürich nach Hause, über den Üetliberg und Hausen. Aber natürlich nicht über die neue Autobahn, sondern über die alte Strecke, das Reppischtal.

Obwohl gräulich der Himmel, gefiel mir die Fahrt im Cabrio. Denn niemand mehr drängelte, fast kein Verkehr - für die Heimkehrer in die Satellitenkäffer war's noch zu früh.

So fuhr ich gelassen - ab und an von Stressern überholt - auch in Äugst am Albis. Hier gibt es eine Metzgerei, die ich schon lange mal besuchen wollte. Ich besuche seit Jahren immer mal Metzgereien und probiere deren Spezialitäten, sofern sie sie noch selbst machen. Also trat ich ein, eine kleine Theke mit allerlei, nicht mehr nur reine Fleischwaren.

Da mein Götti und Vater aus dem Reppischtal stammen, fragte ich die Frau, ob sie meinen Götti noch kenne. Sie bejahte und so kamen wir etwas ins Gespräch. Ich fragte sie, wie sie denn wirtschaftlich durchkämen seit Eröffnung der Autobahn. Sie meinte, sie hätten am Tag der Eröffnung eigentlich zumachen können. Und seither sei es so geblieben. Sie würden auch bald schliessen, denn sie würden bald pensioniert. Es gehe derzeit sowieso überhaupt nur noch, weil sie sich auch auf Party-Service und Catering erweitert hätten.

Das nennt sich Strukturwandel. Ein Dorf wird dann wieder eine oder gar die letzte Metzgerei verlieren. Ist das tragisch? Kommt wohl drauf an, wie es dem Inhaber-Paar ergeht. Werden sie durch den Strukturwandel in eine wirtschaftliche Enge gedrängt? Reicht es ihnen danach zum Leben? Ich hoffe es für sie, denn ihre Produkte sind sehr gut - ich mochte alles, was ich kaufte.

Und wenn nicht? Weil halt die Dörfer im Reppischtal nur noch Schlafdörfer sind? Weil alle, die weiter weg von Zürich sind, halt die neue Autobahn nehmen, also niemand mehr auf der Heimkehr mal noch was einkauft in jener Metzgerei, ist der Umsatz halt so tief, dass ein Geschäft mit lokalem Einflussbereich halt nicht mehr durchhalten kann.

Ok, alles wandelt, nichts ist beständig. Philosophie und Wahrheit kennen diesen Satz. Kann oder soll man sich dagegen wehren? Naja, es lässt sich diskutieren, gerade angesichts der Verkehrsinfarkt-Problematik und des Problems, dass wir nicht mehr da wohnen, wo wir arbeiten - eventuell wird das die Ökologie regeln - auf die warme Art. Alles wandelt. In der Zwischenzeit muss dieses Metzgerei-Inhaber-Paar noch weiterleben und ihren Unterhalt mit Geld erledigen. Eventuell müssen sie wegziehen, wer weiss.

Auf jeden Fall ist es klar, dass ein Strukturwandel auch die Demographie ändert. Denn ein Junger findet in Schlafdörfern keine Arbeit (mehr) - würde er sogar noch dort bleiben oder in so ein Dorf hinziehen wollen. Er könnte das aber tun, hätte er ein bedingungsloses Grundeinkommen. So könnte eine Dienstleistung im Dorf bleiben, selbst wenn sie eigentlich nach heutigen Massstäben unrentabel ist. Wobei klar ist, dass Rentabilität ja nicht alles Lebenswichtige erfasst oder misst.

Ich als einer, der gelassene Ruhe vor Lautheit immer bevorzugt, finde es zwar nett, dass ich mit dem Cabrio die ländliche Agglomeration gemütlich cruisend geniessen kann, weil all die Gestressten auf den Autobahnen im Stau stehen oder rumrasen. Dass ich da aber auch durch scheinbar leblose Käffer fahre, stimmt mich halt schon bedenklich. Ist dieser Lebensstil unserer Gesellschaft wirklich nachhaltig? Ich denke bisher, klar nein.

Wie ist es denn, wenn die Pendler, die jetzt eben in diesen Schlafdörfern leben und deren Sozialkontakte aber in der Stadt sind, alt und pensioniert werden, nicht mehr pendeln dürfen/müssen? Haben alle die Kohle, dass sie sich diese Art leisten können? Wie gestaltet sich deren Leben, wenn sie mal nicht mehr arbeiten müssen? Dahinsiechend in scheintoten Schlafdörfern? Klar, provokant formuliert, aber: Bitte mal darüber nachdenken, die's betrittf. Und dann entsprechend handeln.

Ceterum censeo: Think globally, act locally.

PS: Konkreterweise: Macht mal einen Umweg und geht Fleischwaren in Äugst am Albis kaufen.

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