Der Mensch - Materie oder Information?
Heute kam das Greenpeace-Magazin in handlicherem Format als üblich daher. Thema: Suffizienz. Es ging also darum, wann ist wem was genug - selbst wenn mehr zur Verfügung steht.
Das Ghandi-Zitat "Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier" ist der Aufhänger. Nach den üblichen Fürs und Dawiders, wieso man genügsamer sein sollte, kamen dann die Grundlagen, wieso das heute auch vielleicht überhaupt erst geht.
Dabei kam heraus, dass auch die Konsumenthaltsamen auf etwas nicht verzichten mochten/möchten: das Internet, die Kommunikation, den Austausch mit anderen. Geht mir übrigens auch so.
Da wird ein 50+-Jähriger porträtiert, der mit 2 Paar Hosen, 5 T-Shirts und nicht viel mehr lebt. Wohnen tut er in einer Unterkunft, die ihm günstigst in Berlin angeboten wurde. Nicht erst seit Monaten, sondern seit Jahren. Sehr schön. Andere Junge haben den Laden, bald scheinbar Kette, "Original unverpackt" gegründet, wo man 400 Artikel im Offenverkauf bekomme.
Ich finde sowas toll, denn es zeigt, dass es Menschen gibt, die für sich alleine entdeckt haben, dass sowenig wie möglich persönlicher Besitz genannte Materie sie im wahrsten Sinne des Wortes frei macht. Denn Aufwand, Unterhalt und Entsorgung von Materie (ver)braucht Energie, mentale Energie, Lebensenergie - und auf der materiellen Ebene ist Energie = Geld. Wohlgemerkt, Energie, die danach in immobilen Objekten parkiert, gefangen ist.
Wenn man Materie kauft, sie als Erreichung eines Zieles endlich sein Eigen nennt, dann gibt es doch nur den vergleichsweise kurzen Moment der Freude daran. Den Moment des In-Besitz-Nehmens, der Aktion, der Bewegung also. Kann ich mir mein Lieblingsauto leisten, habe ich ev. den grössten Kick, wenn mir der Verkäufer den Schlüssel übergibt, wenn ich das erste Mal den Motor anlasse, wenn ich die erste Runde drehe, wenn ich mit Genugtuung bemerke, dass der Elektromotor mich nun endlich ohne Abgase fahren lässt. Selbst diese "grüne" Errungenschaft verliert an Freude, wenn sie öfters genossen wird. Nehmt eigene Beispiele und überprüft Eure Erinnerungen an die Zeit des Erhalts. Freude, ja sicher, aber wie lange? Leben ist Bewegung, daher brauchen viele den Kick das weiteren In-Besitz-Nehmens - aka alle Kicks, Räusche, Süchte, etc.
Also, die neuen Minimalisten können ihre Enthaltsamkeit erst leben, seit es in der westlichen Welt zumindest alles an Materie schon gibt, was ein Mensch sich früher nur zu wünschen vermochte. Wenn einer sagt, aufs Internet könne er nicht verzichten, ist das also eh klar, er braucht(e) die Errungenschaften der Vorgänger als Basis für seine (Weiter)Entwicklung.
Ein Zurück-zur-Natur ist das also nicht, denn das geht wohl nicht und will auch keiner. Und muss auch keiner. Wer bei Verzicht und Einschränkung negative Emotionen hochkommen spürt, sollte denen mal nachgehen, woher und aus welcher Zeit die stammen, und was man selbst bei deren ersten Erscheinen als Entscheidung getroffen hatte. Denn Entscheidungen, gerade wenn von Emotionen überschattet, sind enorm starke Ursachen, wieso diese sich dann auch realisieren. Selbst dann, wenn man sie eigentlich nicht mehr will oder gar nicht mehr weiss, wieso eine Auswirkung nun erscheint.
Wie auch immer. Es ist wohl also eine neue Generation da, die den Post-Materialismus leben kann und will. Und Argumente dafür gibt es natürlich genug, wir wissen alle, dass Verpackungswahn Resourcen verschlingt, die im Abfall landen. Dass unsere Rosinen-Pickerei und unsere Entnaturalisierung dazu führen, dass in der Nahrungsmittelproduktion pro Jahr Millionen von Tonnen weggeschmissen werden, bevor sie überhaupt je ihren Erzeungszweck erleben durften.
Nachfolge-Effekte wie den Hygiene-Wahn mit Verpackungsverschwendung sehe ich zum Beispiel jeweils täglich in der Pflege. Natürlich ist es humanistisch und gesellschaftlich bestens verankert, dass dies alles sinnvoll sei - doch auch diese Einschätzung muss sich sicher wandeln.
Schön finde ich, dass diese Leute den Mut haben und eine als gefestigt geltende Scheinwahrheit, dass nur Wachstum die Welt und eine wachsende Menschenmenge befriedigen könne, wenigstens für sich als Illusion erkennen und anders agieren. Und dass sie das nicht als Fundis tun, sondern als solche, die einen anderen Wert als wichtig für ihr Leben, ihr Menschsein erkannt haben: Die Information. Und die belastet die materielle Umwelt nicht. Sie haben entdeckt, dass den Menschen nicht die Materie ausmacht, weil ihn die ja nur fixiert, sondern der Fluss der Information. Bildung und Erfahrung haben doch bei uns einen guten Ruf. Beides keine Materie, sondern Informationen, auf die ein Mensch zugreifen kann.
Was macht Euch glücklicher, wenn Ihr mit einem Menschen im befruchtenden Gespräch Zeit verbracht habt oder wenn Ihr eine Uhr, ein Auto, eine Wohnung, whatever gekauft habt? Vor allem, was hallt länger nach? Was hat mehr Nachwirkungen? Der zuvor getroffene Mensch wird vielleicht mal Euch überraschen, Euch etwas Gutes tun. Die gekaufte Materie wird das sein, was sie immer wahr, fixierte und erstarrte Lebensenergie. Eine Uhr wird mir nicht plötzlich eine Einladung zu einem spontanen Spaziergang anbieten. Eine Wohnung macht mich nicht glücklich - es kann sein, dass ich mich oft an ihrer Architektur oder ihrer Lage erfreue, aber das ist genau genommen dann ja nicht der Verdienst der Wohnung ...
Diese neuen Minimalisten finde ich toll. Ich selbst kenne sowas auch, zumindest wenn mich mal wieder jemand anmacht, ob ich eigentlich nur diese Hose und dieses T-Shirt habe. Viele der Dinge, die mir noch Raum rauben, sind solchhe, die ich schon seit vielen Jahren habe. Teilweise sind sie Staubfänger, teilweise dienen sie mir noch immer wunderbar.
Als ich vor Jahren mal die Chance hatte, von hier wegzuziehen, steckte ich reichlich Energie ins Aufräumen, ins Entsorgen. Da hatte ich wohl einen halben Kubikmeter Computer-Hardware und einen Kubikmeter Bücher entsorgt. Das alles lag teilweise in einem Abstellraum herum, aber vor allem lag es auf der Seele. Als ich dann all diese Materie artgerecht entsorgt wusste, verspürte ich viel neuen Raum, Gewicht war weg, mehr Beschwingtheit, Beweglichkeit und Leichtigkeit hielten Einzug ... das Umziehen klappte dann zwar nicht, aber die Freude am Raumgewinn hielt noch lange an ...
Jeder hat ganz sicher schon erlebt, dass Loslassen kein schmerzlicher Verzicht ist, sondern gar zu einer grossen Freude werden kann. Wenn man das öfters übt, entdeckt Mensch dann vielleicht auch die grosse Erlösung, dass Materie-Haben keine Freiheit ist, sondern eine Fixierung. Die Information hingegen, der Austausch, was andere tun und machen, wie man etwas anders machen kann - selbst die Erzeugung und Entsorgung von Materie wie Autos, Handies und Nahrungsmitteln - ist dann eine erfeuliche Beschäftigung für den Menschen. Denn womit er sich beschäftigt, ist eigentlich total irrelevant - wichtig ist, dass er in Bewegung bleibt, dass er Erschaffenes auch wieder loslassen kann. Wenn das viele können und tun, wird sich eine ganze Gesellschaft ändern können. Unsere Westliche hat das dringendst nötig. Eigentlich natürlich auch die materiell aufstrebenden wie China und Indien. Vielleicht machen sie auf der materiellen Ebene nicht denselben Schrott nach, den sie bei uns sehen. Aber da bei den meisten Menschen Konsequenzen nicht durch Einsicht, sondern erst durch Erleiden bewusst werden, ist zu erwarten, dass diese viele unserer Fehler wiederholen. Ausser, diese Fehler zeigten viel schneller viel drastischere Auswirkungen - weil dort halt viele Menschen auf engeren Räumen gedrängt leben. China pushe wohl sehr die Elektrofahrzeuge ... weil die in ihren Grossstädten konstant Nebel haben - nicht Wasserdunst, sondern Abgaskondensat.
Die EU wird gedrängt, sich mal ihren Wirtschaftswahnsinn zu überlegen, wenn sie die absaufenden Afrikaner über alle TV-Kanäle serviert bekommt. Die EU? Wir natürlich, denn wir meinen, dass ein Wirtschaftskonstrukt wie die EU was Sinnvolles sei. Wäre angesichts der Flüchtlinge und Auswanderer nicht etwas Mässigung, Verzicht, Loslassen endlich angebracht? Weil das Gefühl der Gemeinsamkeit befreiender ist als die Sicherung unserer wirtschaflichen Produkteüberfluss?
Der Artikel im Greenpeace-Heft bewog (Bewegung! sic!) mich dazu, diesen Blogeintrag zu schreiben. Das ist Leben, Austausch, Einsatz, Bewegung, Freude, Friede. Da macht auch eine Herausforderung (sprich Enttäuschung, Misserfolg) nicht viel aus. Erfolgreiche Leute können das bestätigen. Deren Konzept zum Erfolg war nicht, auf die goldene Kutsche zu warten, sondern einfach mal Etwas zu versuchen - am besten mit anderen zusammen, denn dann wird's spassig. Und wie auch das Resultat ist, man hat die Zeit bis dahin mit anderen für ein gemeinsames Ziel verbracht. Ist das nicht das Befriedigendste?
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