Panama Papers und das bedingungslose Grundeinkommen

So, der Bundesrat hat die Empfehlung abgegeben, dass die Initiative zum bedingungslosen Grundeinkommen abzulehnen sei. Und das in der Zeit, wo die Panama Papers bekannt geworden sind, wo die Flüchtlingskrise unsere Gesellschaftsstrukturen in Frage stellt, wo die ökonomisch bedingte Völkerwanderung aus Afrika Europa noch fluten wird, wo Assad trotz Terror fester im Sattel sitzt denn je zuvor, Kriegsflüchtlinge also weiterhin "produziert" werden, was die Grossmächte in ihren Stellvertreterkriegen immer zynisch billigend in Kauf nehmen, wo Klimawandel ebenfalls Völkerwanderungen auslösen wird, wo sich der kapitalistisch getriebene Wachstumswahn immer mehr ad absurdum auswächst, wo gar nicht mehr soviel Arbeit da ist, um ein Volk sich nur durch bezahlte Arbeit ernähren zu lassen, wo die Industrie 4.0 – sprich Digitalisierung der intellektuellen Arbeit und mit den kommenden Robotern auch die physische Arbeit – immer mehr Leute überflüssig machen wird - sollte man als Volk doch wirklich die Systemfrage stellen.

Die Frage, wie soll eine Teilgesellschaft, ein Land voll Einwohnern, eigentlich die nächsten paar Generationen weitermachen? Dass es weder ökonomisch noch ökologisch so weitergehen kann, zeigt sich ja überall immer deutlicher.

Die Frage nach dem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) ist diese Systemfrage. Soll Arbeit das soziale und ökonomische Leben weiterhin bestimmen? Wo diese eben immer weniger wird in einem Land wie der Schweiz? Zukunftsforscher sagen schon voraus, dass es in allen Berufssparten 50% aller Jobs kosten wird. Und eben - dank maschinellem Lernen und neuronalen Netzwerken und damit verbundenen, optimierten Algorithmen wird es auch sogenannte hochqualifizierte Jobs treffen. Banker, Fachspezialisten, Mediziner, einfach alle. Gerade auch die, die sogenannt gut ausgebildet sind. Es geht also schon rein aus dieser Sicht darum, sich asap damit zu beschäftigen, wie es weitergehen soll.

Am 5. Juni stimmen wir über das BGE ab. Und hören immer noch oberflächliche Texte wie "wenn man einfach so Geld bekommt, wird ja niemand mehr arbeiten" ... Tja, wie ich schon öfters schrieb, es geht um Nutzung der Lebenszeit. Wird ein Jugendlicher nicht mehr lernen wollen, weil er eh Kohle kriegt? Reicht ihm dieser Betrag für ein langes Leben? Sicher nicht, so abgeturnt ist noch keiner in der Jugend - der Lerntrieb ist des Menschen stärkster Trieb – stärker als der Sexualtrieb. Denn ohne Lernen überlebt kein Mensch – es ist genetisch programmiert. Kein Baby lernte ohne dies je die Sprache der Mutter, die Verhaltensweisen der bereits länger Lebenden. Wenn ein Jugendlicher also nicht mehr lernen MUSS, nur um Geld zu verdienen, was ihm ja danach eigentlich nur das Mitmachen in der bisherigen, kapitalistischen Gesellschaft ermöglichen soll und/oder muss, so wird er etwas anderes tun. Selbst wenn er faul rumliegt – er wird das nicht sein Leben lang machen – weil das einfach im Schnitt und über die Dauer scheisslangweilig ist.

Als soziale Lebewesen können sich nur die allerwenigsten ein Leben lang isolieren. Und selbst wenn sie das könnten, ohne Interaktion mit anderen werden sie keine 80 Jahre lang zufrieden sein. Interaktion ist Leben. Ein Mangel davon macht kränklich, kann verfrüht zum Tode führen. Menschen sind mehr als nur Bioroboter - auch wenn das bei einigen durchaus schwer zu glauben ist ...

Was ein Jugendlicher also tun könnte – statt als Nutzvieh für die Industrie in deren Abläufe eingeschirrt zu werden – wäre doch möglicherweise etwas zu lernen, was ihm Spass macht. Was keinen Sinn machen muss, für niemanden ausser ihn selbst. Was ihn "Fehler" machen lässt, auf die Schnauze fallen lässt, was ihn somit lernen lässt.

Unsere Wissenschaftler und auch Comedians wissen schon lange, dass wir eine total bescheuerte Ausbildungswelt haben: Da wir Menschen als Arbeitskraft für eine Maschinerie genannt Wirtschaft brauchen, scheuen wir uns wie der Teufel das Weihwasser vor dem Fehler-Machen. Obwohl nur durch Fehler diese Wirtschaft erst entstanden ist. Man lese sich mal durch die Geschichte all der Erfindungen durch ... da sind die "Fehler", das "Versagen" an der Tagesordnung, und dafür die sogenannten Zufälle eben auch – Zufälle, die dann die wegweisenden Entdeckungen brachten.

Wir haben als Gesellschaft so dermassen Schiss vor Veränderungen, dass fast jeder grad beim Thema BGE nur angstgetriebene Pauschalausreden bringt. Natürlich, anders werden muss es. Und wird es ohnehin. Ob wir wollen oder nicht. Doch viele sagen trotz Anerkennung des Fakts "Aber doch nicht grad so". Tja, irgendwas ist ja immer ...

Wieso also nicht mal ein Experiment mit offenen Augen und mental wohlwollend beginnen? Die blutige Kulturrevolution in China wird von vielen als reines Experiment angesehen. Ein ganzes Volk musste unter der Idee eines einzigen leiden. Ditto heute Nordkorea. Experimente passieren ja ohnehin, überall, immer. Gemeinschaften, vielleicht auch Staaten nennen sie sich. Ein kleines und erst noch reiches Land wie die Schweiz kann sich so ein Experiment wie das BGE leisten.

Und wieso erst recht angesichts Idiotien wie Europäischer Geldpolitik und eben nun der Panama Papers? Weil diese beiden Dinge im Finanzbereich dieselben Augenöffnungsqualitäten haben wie die Snowden-Leaks im IT-Bereich. Jeder sollte nach anfänglicher Empörung mal in sich gehen und mit viel Abstand schauen, ob er das nicht eh schon gewusst hat, warum es ihn denn möglicherweise empört, welche scheinheiligen und selbst nicht erfüllten, aber von anderen erwarteten Idealvorstellungen wie Seifenblasen zerplatzen und wieso es diese Bigotterie überhaupt gibt.

Fast jeder der wohlhabenden Einzelpersonen hat sich dieser Verschleierungsmittel bedient. Ich hatte grad letzthin eine Diskussion mit einem guten Freund. Ich sagte "wenn du 6 Millionen pro Jahr verdienst, was stört es dich, wenn du 65% davon abgeben musst? Reichen dir 2 Millionen nicht zum Leben pro Jahr?" Er: "Klar reichen mit 2 Mio. zum sehr bequemen Leben gut aus. Aber ich will nicht, dass mir 4 Mio. genommen und für Zeug verschleudert werden, was ich nicht unterstütze. Also werde ich mein Geld vor dem Staat verstecken, denn mir geht's bei diesen Summen nicht ums Geld, sondern um die Verwendungsart. Gäbe der Staat mit der Steuererklärung auch gleich einen Multiple-Choice-Bogen ab, auf dem ich den Verwendungszweck meiner Steuern ankreuzen könnte, täte ich das mit Freude."

Dieser Argumentation kann ich zwar folgen, aber auch nur, weil ich ihn kenne, und eben weiss, dass er kein Egoist ist. Anderen nähme ich ohne Tatbeweis so eine Ansage nicht einfach so ab.

Die Systemfrage ist also: Wollen wir als Gesamtheit so ein unfähiges System? Bzw. die entlarvende Frage lautet ja: Wieso wettern alle Staaten über diese Steueroasen und doch fehlt überall, in allen Ländern, der politische Wille, das zu ändern? Weil wir immer noch denken, wir sind Konkurrenten während der Zeit auf diesem Planeten. Die Schweiz gegen Deutschland, die EU gegen USA, was auch immer. Worum kämpfen wir denn überhaupt?

Gibt es noch irgendeinen auf dieser Welt, der noch nie ein Bild der Erde von ausserhalb gesehen hat, die schöne blaue Murmel vor absolutem Schwarz? Der noch nie Bilder aus Kriegszonen, von verdreckter Natur, leidender Tiere, "dank" Chemie- und Strahlungsverseuchung genetisch absolut lebensunfähiger Früh- und Totgeburten gesehen hat?

Gibt es noch irgendeinen, der wirklich meint, angesichts bald 8 Mia. Leute seine eigenen 80 Jahre in reiner arroganter Konkurrenz leben zu können? Und selbst wenn er es versuchte, dass ihm so ein Leben Spass machen könnte?

Die Panama Paper waren für meinen Freund und mich nichts Überraschendes. Wie es auch Snowdens Enthüllungen nie waren. Wer die sogenannten menschlichen Makel kennt, erkennt sie halt in allen verschiedenen Ausprägungen immer wieder. Und (er)kennt ihre Anflüge auch bei sich selbst.

Was ich allerdings anregen möchte angesichts der Panama Papers, ist eben genau die Frage nach dem System zu wagen. Soll es wirklich so sein, dass die mit viel Kohle uns anderen auf der Nase rumtanzen können? Eine Gesellschaft aushebeln können, so dass ein Staat (also wir) seine Pflichten gegenüber seinem Volk nicht mehr wahrnehmen kann? Soll es so sein, dass Staaten wieder schwach werden? Schwache oder sogenannte Failed States gibt es jetzt schon reichlich, und wir können das Leben dort dank moderner Medien beobachten. Ohne funktionierenden Staat ist man zurück beim Faustrecht. Wollen wir das wirklich? Eine "Gerechtigkeit" gibt es nicht auf dieser Welt. Und der Kapitalismus schafft auch in absehbarer Zukunft keine. Die menschlichen Makel ändern das in der Masse auch nicht.

Ausser: eine hinreichend grosse Masse, die bekannte "kritische Masse", entscheidet sich dazu, etwas Neues zu wagen. Diese Gruppe, die sowas wagen kann, muss wohl relativ homogen sein. Wir Schweizer sind so eine Masse, wir könnten diese Einigkeit realisieren. Und damit wirklich modern und vor allem lebendig werden, denn Leben ist Veränderung. Diese Plattitüde weiss nun jeder an sich selbst bewiesen: Ewig dasselbe ist Tod oder zumindest todlangweilig.

Dass Geld zuwenig da sei für ein BGE ... ist angesichts EUs Draghi und eben der Panama Papers eine Lächerlichkeit sondergleichen, eine Arroganz der Mehrheit gegenüber. Und wenn der Schweizer Bundesrat sagt, das Sozialsystem biete ja die finanzielle Absicherung – tja, dann kann man dasselbe Geld ja auch gleich unter anderem Titel ausgeben.

Die einzige Ausrede dann ist: Gäbe man es bedingungslos und vorurteilslos aus, wäre sämtlicher, wie auch immer gearteter Druck auf denjenigen Menschen nicht mehr da, die das Geld nötig haben oder schlicht damit zufrieden sind. Dabei muss man ja immer noch bewusst halten, dass wohl die wenigsten Schweizer mit dem BGE alleine zufrieden sind, denn die Komfortansprüche von durchschnittlichen Schweizern lassen sich wohl mit den CHF 2500.-/Monat nicht abdecken. Sie werden also arbeiten gehen wollen, weil es für sie noch etwas mehr sein darf. Doch gäbe es keinen Grund mehr, auf nicht ökonomisch "verwertbare" Menschen hinunterzusehen, sie zu stigmatisieren.

Und genau das soll es sein: Die Wissenschaft weiss, dass die glücklichsten Generationen die Jugendlichen und die Alten sind, denn: sie MÜSSEN noch nicht / nicht mehr arbeiten, sie DÜRFEN. Und dann macht Arbeit eben Spass: Keine psychosomatischen Krankheiten, kein Burnout, keine Mitzuschleppenden, keine Selbstzweifel, keine Griesgrame ... ab 15 oder später MÜSSEN aber viele arbeiten und zwar etwas, was sie nicht wollen. Und das nur, um ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen zu haben - weil es in der aktuellen Gesellschaft selten anders geht.

Wir, die 3.5 Milliarden, die zusammen weniger Geld als 62 Superreiche haben, müssen uns endlich fragen, wie es auf diesem noch schönen und wohnlichen Planeten für uns und unsere Nachkommen weitergehen soll. Dass Betrachtungen über ein BGE eine Luxusoption ist, dürfte offensichtlich sein. Es ist ja auch eine Errungenschaft einiger europäischer Staaten, aus der kriegerischen und föderalen Mittelalterzeit es geschafft zu haben, trotz diverser durchaus attraktiver Unterschiede mehr oder weniger friedlich zusammenleben zu WOLLEN. Es ist ja aus anderer Sicht ja wirklich so: Der Kapitalismus ist im Niedergang, neue Systeme kommen - unausweichlich. Wäre da eine Willkommenskultur nicht besser als ein Überrannt-Werden?

Die Schweiz als wohl einer der wohlhabensten Staaten – hat dennoch je nach Auslegungsart bis zu 20% armutsbedrohte Personen (Statistik Schweiz). Dennoch kann sie sich das Experiment des BGE wohl als eines der wenigsten Länder willentlich leisen. Und mit diesen Erfahrungen dann wirklich The Leading Edge sein.

Bitte zu erinnern: Das Geld ist ja da – sagt der Bundesrat als Ausrede. Es wird halt nur unter anderem Titel rausgehauen. Und wenn doch kein Geld da: Siehe EU: Dann druckt man halt, was das Zeug hält. Deflationsrisiko inklusive. Nützen tut's der Masse zwar nichts – und DAS werden die Panama Papers ja nun ausreichend beweisen.

Es darf jederzeit klar sein: Es sind am Ende egoistische Einzelpersonen, die unter dem Einfluss irgendwelcher Ängste oder Vorstellungen Entscheide treffen, die solche Konstrukte wie "Geldpolitik" und "Steueroasen" entstehen lassen. Zusammen mit wohl noch aus Neandertaler-Zeiten stammenden Überlebensinstinkten. Dies führt dazu, dass jeder, der nicht nur die primitive Amygdala benutzt, sondern als moderner Homo Sapiens auch das Grosshirn, diese Dinge durchschauen kann. Es ist alles klar.

Und doch: Geht's ans eigene Hemd, ist es eben immer noch das Nächste. Und was wohl unabhängig von jeglicher Religion, sondern einfach getrieben von unerwünschten, stark emotionalen geprägten Erfahrungen. Und eben, sich als Konkurrent zum Nachbarn zu sehen.

Das Leben ist lebensbedrohend, es endet in jedem bekannten Fall mit dem Tod. Wollen wir als Einzelmasken diese paar Jahre wirklich in andauernder Konkurrenz verbringen? Es ist kein Topf zu gewinnen, es bringt nichts, über das Lebensende hinaus planen zu wollen. Wieso also sich gegenseitig beneiden, bekämpfen, verurteilen, übertreffen, besiegen, niedermachen, beschämen wollen? Wofür? Und das ein Erwachsenenleben lang? Macht es irgendeinen Topmanager glücklicher, auf der Bahre noch stottern zu können: "Ich sterbe, aber ich habe immerhin 100 Mio. auf dem Konto"?

Tja, es gibt halt doch nichts Endgültigeres als den Tod und die Steuern. Letzte kann man überleben und noch bis zum Unausweichlichen Spass an dieser Welt und den Menschen haben. Nicht an allen, habe ich auch nicht. Aber an denjenigen, die ähnlich ticken wie ich. Und weil dieses täglich mögliche Glück nicht durch menschliche Erfindungen wie Geld bedingt ist, sollte jenes auch nicht diese Bedeutung für eine ganze Gesellschaft haben.

Am 5. Juni haben wir in der Schweiz die Möglichkeit, mutig von Lippenbekenntnissen auf neue Wege einzuschwenken und zu sehen, was sich dabei entwickeln kann. Ganz gemäss dem Star Trek Slogan: "to boldly go where no man has gone before".

Nach wieder mal (zu?)vielen Worten daher: Leser, überlege, was Dir wirklich wichtig ist im Leben. Dann entscheide und handle danach und halte den Kurs ... selbst wenn es eben bedeutet, bisherige Autobahnen zu verlassen und mal die Möglichkeiten jenseits des Sicherheitszauns zu erforschen. Dein Leben wird enden, nach wievielen Jahren auch immer. Und es wird völlig egal sein, wie Du es verbracht hast, es ist keiner da, der Dich danach bewertet. Es ist Dir selbst überlassen, in welchem Mindstate Du es verbringst.

Nun, Schweizer, entscheide: Am 5. Juni 2016. Was ich stimme, ist ja offensichtlich ... :-)

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