50 Tage USA - Amtrak

Eine kürzere Geschichte diesmal, aber dafür eine emotionale - weil sie mich über alle Massen ärgerte und mir geschätzte $1400 Spesen verursachte.

Im Haus meiner Gastgeberin war es jeden Tag zu hören, und vor allem auch jede Nacht um 2h00. Das Horn des Amtraks, der quer durch Amherst fährt und dabei natürlich diverse Strassen quert. Und weil dort keine Barrieren sind sondern nur Andreaskreuze, muss der Zug natürlich Laut geben. Ausführlich, dass es auch jeder Schläfer im Bett hört.

Aus den USA-Filmen kennt wohl jeder auch den Klang: Mehrtonig, durchaus harmonisch. Als Nachtmensch hörte ich den dort also oftmals ... denn den Lokführer interessierte es wohl kaum, dass Leute üblicherweise schlafen um diese Zeit. Das Gehorne war immer gleich laut und fast immer auch gleich lang. Denn der Zug, ein Fracht-Zug, ist ja nicht grad schnell unterwegs. Train Hoppers müssen ja irgendwie aufspringen können ... zudem sah ich den Zug auch ein paar Mal tagsüber - ein Fahrrad überholt den locker.

Wie dem auch sei, ich dachte, einmal Amtrak-Fahren, dass sollte es schon noch sein. Nur anlässlich wessen? Ich entschied, dass ich am Tag der Abreise mit dem Amtrak nach Boston fahren könnte. Meine Freundin schlug dann vor, mit dem Bus "Peter Pan" nach Springfield zu fahren und dort auf den Amtrak umzusteigen, der von dort aus nach Boston fahre.

Gesagt, getan. Der Peter Pan war sehr nett, sehr bequem, aber halt langsam. Also eine gute Stunde nach Springfield. Dann 10 Minuten laufen zur Amtrak-Station. Der Zug hätte um 17h00 fahren sollen, die Angestellte sagte aber, er habe schon mal gute anderthalb Stunden Verspätung. Ich glaubte, ich hör nicht recht. Vor allem sagte sie es mit einer Gelassenheit, dass ich nicht wusste, wo ich war. Die meinte das wirklich ernst!

Wer in der Schweiz Zug fährt, weiss um unsere Pünktlichkeit. Die erwarte ich natürlich nicht von allen, so um 15-30 Minuten rum mache ich kein Theater. Aber 1.5 Stunden. Nun ja, ich hatte eigentlich genug Zeit bis zum Abflug, statt vier Stunden wären es in Boston dann halt nur noch 2.5 Stunden bis zum Abflug. Also hiess es, die Abendsonne im klimatisierten Amtrak-Gebäude zu geniessen und abzuwarten.

Um 19h30 war der Zug aber immer noch nicht da. Jetzt wurde mir mulmig zumute. Kurzum: der Amtrak kam 2h10 zu spät. Mich beschlich langsam der Zweifel, ob ich den Flieger noch erreiche.

Der Zug selbst war dann irgendwie wie Reisen in die Vergangenheit - aus der Sicht eines Schweizer Zugfahrers. Nur vier Passagierwagen für so ne lange Strecke, und alle mussten an einem einzigen Wagen und dort erst noch an einer einzigen Tür aus- und einsteigen. Dafür war ein Schaffner da, der den Schemmel unterstellte, denn ohne denn hätte man schon Bergsteiger sein müssen, um überhaupt in den Wagen zu gelangen.

Wie auch immer, die Wagen waren dann schon recht nett, zwar sehr voll, doch wir bekamen ein grosses Abteil. Doch der Zug schlich dahin ... wenn ich da an unsere Schnellzüge denke ... und mir wurde noch mulmiger. Ab und an stichelnde Durchsagen, dass man nun auf einen entgegenkommenden Zug warten müsse ... und ich merkte schon, dass es wohl äusserst knapp mit dem Flieger würde, wenn überhaupt.

Als wir in Boston ankamen, voller Stress ein Taxi rufen. An die Strasse, Hand raus, Glück gehabt. Ein Taxi düst mit uns zum Flughaben, es ist 23h01, als wir dort ankommen. Zum Checkin-Schalter sind's nur noch 50 Meter. Doch was ist da los ... der ganze Checkin-Bereich ist leer, Putzequippen reinigen, die Background-Musik ist gut zu hören, und am Schalter meiner Gesellschaft ... ist zum Glück noch jemanden. Doch oweh, die sagt, sie sei auch am Aufräumen. Ich: Der Flieger geht doch erst in einer halben Stunde ... Ja, aber das Checkin sei halt nun geschlossen, aber sie rufe mal den Vorgesetzten an. Da gehe nichts mehr, mit Checkin sowieso nicht. Das raubte mir grad noch fast den letzten Nerv, denn ich war schon seit Springfield wie auf Nadeln. De facto konnte ich diesen Flug also nicht mehr erreichen und niedergeschlagen zogen wir halt von dannen. Ironischerweise hörte ich dann noch ein paar Mal die Durchsage "Last call for passenger Martin ... go to gate ..." ... ja, verdammt nochmal, ich wäre ja gegangen ... aber eben.

Wir haben uns dann halt ein Taxi genommen, um noch irgendwo unterzukommen, das in Boston zu humanen Preise nicht möglich war. Also halt eine Fahrt nach Woburn, einem Stadtteil ausserhalb. Auf der Suche nach offiziellen Taxis verfielen wir dann dem Marktgeschrei eines Fahrers eines kleinen Transporters. Das war zwar hilfreich, weil wir noch einen Hund dabei hatten, aber ich hätte aufpassen sollen. Denn als wir schlussendlich nach einer Pause bei McDonalds zwecks Futterbeschaffung meiner Freundin für sich selbst in Woburn ankamen, verlangte der Kerl doch sage und schreibe $97 für eine Fahrt, die grad mal netto etwa 20 Minuten gewesen wäre. Also nochmal was zum Ärgern. Und dann fragte der noch frech, ob wir morgen zurück müssten. Hat der echt gedacht, ich zahl dem nochmals soviel? Träum weiter, aber natürlich nichts gesagt.

Das Hotel dann war recht nett. Einen Live-Feuerwehr-Einsatz konnten wir auch noch grad miterleben, weil am nächsten Tag irgendwo in einem Hotelzimmer wohl etwas vor sich hin mottete. Aha, mal original Firefighters in Aktion. Nett, aber das nervenschädigende schrille Kreischen der Feueralarmsirenen ... hätte nun wirklich nicht sein müssen. Dass der Hund davon nicht wahnsinnig wurde, liess mich doch kurz erstaunen ...

Nun gut, da mein Flugzeug eh nur alle zwei Tage flog, hiess es dann halt noch ne zweite Nacht bleiben. Immerhin verschaffte mir das am Zwischentag zusammen mit Freundin und Hund ein tolles und sehr leckeres Abendessen bei einem Chinesen, der sich edel in einem irgendwie herrschaftlichen alten Haus niederlassen konnte. Da war mir schon das Ambiente sehr angehm, vornehm ... und die Bediensteten sprachen wirklich Chinesisch. Das Essen war exquisit. Auch nicht grad günstig, doch der Tipp diesmal gerne gegeben.

Als ich im Zwischentag dann per Skype meinen Freund in der Schweiz anrief und ihm vom Amtrak-Desaster erzählte, war der schnell bei der Sache und googelte mir einen Artikel, den ich auf jeden Fall hätte vorher lesen müssen ...

http://www.cbsnews.com/news/why-amtrak-cant-run-trains-on-time/

Wie konnte ich Naivling - an die beste Eisenbahn gewöhnt - also auch nur im Entferntesten annehmen, dass ich der amerikanischen Eisenbahn trauen könnte. Teuer war diese Lektion. Nur das chinesische Essen stimmt mich etwas milder, das sich wenigstens lohnte als Teil der Zusatzausgabe wegen Amtrak. Verklagen kann man die übrigens nicht, die haben da sowas in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die ja eh keiner oder dann zu spät liest. Das Ticket, das hätten sie mir rückerstattet ... $50 gegen $1400 ... das macht den Braten auch nicht mehr feiss.

Fazit aus der Sache: Amtrak fahren - nur, wenn man innert der nächsten 12 Stunden nichts Unverschiebliches im Kalender hat. Alles andere ist fahrlässig.

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