1. MedienClub im SRF
"Die Ohnmacht der 4. Gewalt", interessant. Die Presse als 4. Gewalt im Staat verliert an Bedeutung, an Signifikanz, an Autorität, versinkt in Beliebigkeit, nachplappernder Befriedigungsdienstleistung. Die Quintessenz am Schluss: Im Zuge der binären, unsortierten, unsicheren, dafür schnellen und viralen sozialen Netzwerken gehen die Erzeuger von Presseprodukten, die Journalisten unter. Ist ein Thema komplex, kommt der seriöse Journalist nicht genug schnell mit der Story, die man in der Konkurrenz mit anderen Medien raushauen muss. Ist die Story dann draussen, muss sie aufgehübscht werden, damit der nur noch oberflächlich interessierte Online-Medien-Konsument wenigstens anhand eines Bildes einer Nackten wenigstens aufs Versehen die Augen noch auf den seriösen Text fallen lässt - und bei hoffentlich aktiver Auffassungsgabe dann den doch noch liest. "Leimspur" heisse das: Man lockt also die geistigen Aasgeier auf den Leim, auf dass sie sich niederlassen und sich etwas umschauen. Dann ist die seriöse Story an den Mann, die Frau gebracht.
Pedro Lenz "Ich sehe nicht nur schwarz". Mir gefielen seine Einwürfe, denn er war der einzige hauptberufliche Autor in der Runde. Ihn interessiert mehr als der mit leeren Infos abgefüllte und sich auch selbst so äussernde Leser - er will Hintergründe, er will Informationen, Erklärungen, er will den Kontext und damit längere Stories, die auch nicht von heute auf gestern rausgehauen werden müssen, weil die Ökonomie das so will.
In der Nahrungsindustrie gibt's den Begriff der "leeren Kohlenhydrate", was einfach heisst, etwas ist reiner Zucker, der Körper fett werden lässt, sie aber nicht ernährt. Weil all das in einem Nahrungsmittel eben fehlt, was der Körper wirklich braucht, nebst Zucker. Die sozialen Medien, Twitter, Facebook und die Neuausrichtung des Publikums auf den Newsgenuss in der schnellen, scheinbar echtzeitigen Internet-Kanälen führt genau dazu, zu inhaltsleeren, unkontrollierten, unverifizierten Worthülsen, die dann im Copy&Paste Verfahren erst noch hunderte Male von geteilt werden. Wenn nicht geteilt, dann halt geliked. Warum auch immer ein Like vergeben wird - wissen, ob das was mit dem Inhalt zu tun hat, weiss man dann doch nicht. Aber man sieht - die Anzahl Likes. Und man weiss, dass ein Like von einer Person kommt, also gleich Kundenzahl, gleich Werbeeinnahmen, gleich Relevanz, gleich Bedeutung. Alles scheinbar "wahr".
Die Anwesenden in der TV-Runde zeigten in ihren Voten sehr deutlich, dass die Presse als Informationsanbieter abgeschossen ist - zumindest wenn sie ökonomisch basiert argumentieren muss gegenüber Geldgebern.
Als Beispiele wurden die realen Stories der Fall Carlos, der "Schnäbeli"-Gerry und die Zuger Sexaffäre genommen, um zu demonstrieren, wie irrational aus Sicht der Presse das Publikum reagiert, denn die Presse schrieb darüber, aber oft aus sachlich anderen Gründen. Die Nachhaltigkeit der Stories in den sozialen Netzen entstand aber nicht aus dem sachlichen Fokus, sondern aus irgendwelchen Nebenaspekten.
Beim Fall Carlos zeigte das TV damals auf, dass seine schlussendlich wohl gerade wegen der ganzen Aufmerksamkeit misslungene Resozialisierung einfach pro Monat sehr viel koste. Rational wurde argumentiert, dass das immer noch billiger sei, als wenn der irgendwann später irgendeine Scheisse baue, die dann wirklich teuer oder gar zerstörerisch wäre. Carlos blieb dann aber im Gespräch, weil es Neid und Emotionen schürte, denn die monatlichen KCHF 29 sind halt etwas, was man selbst als Gutverdiener nicht unbedingt selbst bekommt - und schon ist meine Formulierung subtil suggestiv: der Carlos hat die 29'000 ja nicht bekommen, es kostet halt den Staat soviel, ihn nachhaltig und proaktiv zu (re)sozialisieren. Aber diese Differenzierung war bald schon untergegangen in den Wochen danach.
Bei Gerry Müller war es - und daran erinnere ich mich noch gut - zuerst die Vermutung auf Missbrauch seiner Amtsgewalt. Die Story boomte aber, weil es da um Sex, Naivität, Schadenfreude, etc. ging. Während mir der ganze Sex-Kram völlig egal war, war dies wohl der Kicker, den all die Texteschreiber hatten, so dass seine Story lange on blieb.
Beim Zuger Sexskandal ... dasselbe: niedrigste Instinkte werden getriggert, Vorurteilspfleger können ihre Füllhorne voller Boshaftigkeiten ausleeren, Zeichenleser können deuten, Psychologen können über den Schaden an Familie und Täter und Opfer sinnieren ... eine sogenannt gute Story halt ... Sex & Crime
In allen drei Fällen musste die Presse - wenn sie der Sensationsgier des Publikums folgen wollte oder musste - sie halt wiederkäuen, aufkochen, spekulieren etc. Die Presse sind ja z.B. Zeitungen oder Online-Redaktionen, die Geld machen müssen. Wer ist hier also der Master? Das emotional von eigenen Geschichten getriebene, neugierige scham- und hirnlose Publikum? Reagiert die Presse also auf das, was das Publikum will? Steuert also der Mob die Produkte und die Qualität der Presse? Die Presse also die Hure der Onliner, der Netcitizens?
Das ist Brot und Spiele aus dem alten Rom ... der Kaiser wusste genau, dass das Volk trotz Militär einem Kaiser gefährlich werden kann. Drum also die Beschwichtigungstaktik im Circus: Ein paar Christen den ausgehungerten Löwen vorschmeissen - die primitiven Emotionen sollten dann dort aus- und abgelassen werden können. Gesteuert vom scheinbar mächtigen Kaiser, der sich dennoch der Macht der Masse beugt, auch wenn die Masse das nicht weiss.
Und neben diesen drei realen Fällen wurden die Beispiele von zwei total erfundene Stories genannt. Eine war, dass ein Deutscher nach oder während einer Scheidung alle Gegenstände seiner Frau mit der Kettensäge halbiert habe - die zweite, dass eine junge Chinesin Sex gegen Mitfahrgelegenheit angeboten hätte. Beide Stories entstanden am Reissbrett von Leuten oder Agenturen, die genau wissen, wie die Presse heutzutage funktioniert. Und die Presse verfuhr wie vermutet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Interessant: Es geht also eigentlich wiedermal ums Henne-Ei Problem. Das Ei, das früher von der Printpresse ausgebrütet und dann der Leserschaft in allen schillernden Details präsentiert werden konnte, wird der heutigen Presse nun von den sozialen Medien ins Nest gelegt. Und wie die Gasteltern beim Kuckuck, brüten sie es dann halt auch noch aus. Und hoffen, dass es sie nicht killt.
In anderen Worten: Was ist Presse noch wert? Die anwesende Frau in der Runde sagte, dass sie im Bundeshaus den Text höre, dass die Politiker die etablierte Presse nicht mehr ernst nähmen, Schiss hätten die eher vor Bloggern. Und die müssen die journalistischen Sorgfaltspflichten halt nicht einhalten als Private.
Pedro Lenz halt also schon recht: Ich sehe schwarz für die Presse, wenn sie im Kampf ums Geld der Leser sich denen anbiedern muss. Vielleicht geht die Presse als solche einfach unter. Punkt. Bleiben werden Bücher, Autoren, Reporter, die ihre Stories erzählen, weil es irgendwo ein interessiertes Publikum gibt - wie eben Pedro Lenz. Aber als sogenannte News-Lieferanten, da hat die ökonomisch orientierte Presse verloren. Sie kann da mitmachen, aber verloren hat sie.
Ausser, es gibt einen Rückschwinger in den sozialen Medien: Dass sich dort ein Mechanismus oder eine Welle etabliert, die Hasskommentare, geistige Schnellschüsse, Schwarz/Weiss-Meinungen, 15-Minuten-Ruhm-Süchtler und Selbstdarstellung irgendwie ächtet und damit reduzieren kann - auf dass Qualität der Information wieder was zählt. Wenn aber Twitter und Co. es tatsächlich schaffen, sich als akzeptierte Newsfeeds zu etablieren ...
Ich persönlich hatte mich schon lange vor all dem Geschrei heute entschieden, mir meine Informationen zu suchen, wenn ich sie brauche. Und zwar überall, wo ich dann Zugriff habe. Am besten bei den Leuten, die eine Story verursachen, oder bei den Reportern und Journalisten, die sich Zeit nehmen durften und konnten, um den Kontext auszuleuchten. Informationen von solchen erachte ich für mich als aussagekräftig und nehme sie als gültige Information an.
Was in den sozialen Medien vorgeht, beobachte ich ganz sporadisch und eigentlich desinteressiert. Da ich weder niedrigen Instinkten verfallen bin, noch meine, Infos zu Bachelor und Bachelorette bereicherten mein Leben, schaue ich da eh nur etwa einmal pro Woche für kurze Zeit in Facebook etc. Printerzeugnisse lese ich als Newsinformanten auch seit 30 Jahren nicht mehr. Diese Informationshülsen bringen mir einfach nix, nada, 0.0 für mein Leben. Also lasse ich es einfach sein.
Ich fühle mich aber immer noch sehr gut informiert - denn ich hole mir an ausgesuchter Stelle die Infos, die ich für mich brauche und finden will. Bei mir ist das halt nicht das Massentaugliche.
Die Presse also am Scheideweg ... welches Licht Pedro Lenz da noch gesehen hat, weiss ich nicht. Vielleicht ist das aber auch nur noch das Lampengestirn des im Tunnel entgegenkommenden Schnellzuges ...
Auf jeden Fall war die Sendung interessant. Weil halt mit einem sehr aktuellen Thema. Weiter so.